Erinnerungskultur geht anders!

Wir Grünen meinen: CDU und FDP ist die Geschichtsperspektive gehörig verrutscht.
Die Von-Helms-Straße darf ihren Namen behalten, und nun?

Erinnern mit einem Tatbeteiligten, wollen wir das? Wir sind für eine andere Erinnerungskultur, eine die den Opfern gerecht wird. Die Debatte um die Von-Helms-Straße, benannt nach dem von den Nationalsozialisten dekorierten „Ehrenbürgermeister“ Johannes von Helms (Bürgermeister von Tornesch von 1926-1943), ist noch in vielen historischen Detailfragen nicht beendet, aber trotzdem gab es am 17.05.2021 eine Entscheidung der Ausschussmehrheit im Ausschuss für Jugend, Sport, Soziales, Kultur und Bildungswesen (JSSKB). Und das obwohl eine klare Aufarbeitung der Ereignisse des Nationalsozialismus von 1933-1945 in Bezug auf die möglichen im Amt begangenen Taten des Bürgermeisters von Helms nicht vorliegen konnte, auch wurde eine konkrete Wertung der Taten, die die Historikerin Annette Schlapkohl zusammengetragen hatte, aus unserer Sicht nur unzureichend vorgenommen.

Trotzdem wurde die 1973 getroffene Entscheidung, den Straßenabschnitt Norderstraße in Von-Helms-Straße umzubenennen nicht korrigiert (5:4 Stimmen CDU/FDP gegen GRÜNE/SPD). Eine historische Einordnung auf einer Tafel – einer „Erklärstele“ – soll nun auf Antrag der CDU darlegen, wie Herr von Helms geschichtlich einzuordnen ist.

Die Anwohner*innen wird es überwiegend freuen, können sie sich die Mühen einer Adressumbenennung sparen. Die geschichtliche Entscheidung erspart uns das nicht.

Das Verfahren mit Erklärschildern für Straßennamen wird in anderen Städten häufig dann verwendet, wenn die Nationalsozialisten zum Beispiel Menschen für ihre Zwecke instrumentalisiert haben, geschehen auch bei Amtsträgern.

Bei schuldhaften Verstrickungen und Bekenntnissen zum Regime der NS-Diktatur wird in der Regel die Straße umbenannt. Daher votierten wir für eine Umbenennung, konnten aber mit der SPD gegen CDU und FDP unseren Antrag nicht durchbringen. Offizielle Geschichtsschreibung ist auch eine Frage politischer Mehrheiten.

Für uns ist das Ergebnis der Debatte höchst erstaunlich und nicht zu verstehen, gingen wir nach den belastenden historischen Erkenntnissen von der Stadtarchivarin Frau Schlapkohl davon aus, dass eine Umbenennung unvermeidbar wäre, auch als klares Zeichen an die Opfer des Nationalsozialismus.

 

Langfassung für Interessierte an den historischen Details

Selbstverständlich ist davon auszugehen, dass Bürgermeister, die sich entschieden auch nach 1933 im Amt bleiben zu wollen, mit der NSDAP kooperieren und Anordnungen aus Berlin Folge leisten mussten. Der Dienst im Amt bedeutete eine Beteiligung an Rassismus, Antisemitismus, Kriegsmobilisierung und Kriegsbeteiligung, sowie die Verfolgung von Minderheiten und vor allem eine direkte oder indirekte Beteiligung an der Deportation und Ermordung von Jüdinnen und Juden.

Ein Bürgermeister, dem diese Beteiligung zuwider und unerträglich gewesen wäre und er damit einen Platz in unserer Erinnerung verdient gehabt hätte, wäre aber vermutlich nicht zum „Ehrenbürgermeister“ durch die Nationalsozialisten ernannt worden und schon gar nicht hätte er, wie Frau Schlapkohl recherchiert hat, sich der NSDAP-Fraktion 1943 in Tornesch angeschlossen, gleich nach dem Ausscheiden aus dem Bürgermeisteramt. Viele Dokument aus dieser Zeit sind leider verloren gegangen, so dass bislang nur schemenhaft das Wirken des Bürgermeisters gesehen werden kann. Auch war er Bauherr des Kriegsgefangenenlagers an der Lindenstraße.

Geschichtliche Bedeutung hat auch das Niederbrennen eines Wochenendhauses der Familie Jacoby durch die SS. Als sich die Besitzerin Anna Jacoby zuvor schutzsuchend an den Bürgermeister Johannes von Helms gewandt hatte, soll auch er sie unter Druck gesetzt haben. Als diese Tat aufgeklärt werden sollte, war er bereits verstorben.

Eine positive Beziehung soll es von Johannes von Helms zur Kirchengemeinde gegeben haben. Auch sein Eintritt in die NSDAP 1937 zeigt, dass er dem Regime vermutlich positiv gegenüberstand. Dieser Eintritt widerspricht eindeutig christlichen Überzeugungen.

Johannes von Helms ist aus unserer Sicht, nach allem was wir wissen, sehr wahrscheinlich ein Unterstützer des NSDAP-Regimes gewesen und damit weit mehr als ein „Mitläufer“.

Er hat durch seine Mitgliedschaften aktive Bekenntnisse zur NSDAP abgegeben und ist in dem oben erwähnten Fall beschuldigter Beteiligter einer schweren Straftat, die er mit zu verantworten hatte, wenn die historischen Bezeugungen der Betroffenen richtig sind. Da Frau Jacoby die Ehefrau eines jüdischen Mannes war, würde das Verhalten der Stadtverwaltung in das Muster bekannter Vorgehensweisen der nationalsozialistischen Diktatur passen.

Eines war Johannes von Helms ganz sicher nicht: Ein Opfer der nationalsozialistischen Diktatur.

Ganz offensichtlich hat die Ausschussmehrheit die Ehrerweisung aus den Augen verloren, die ein Straßenname für die Verdienste einer Bürgerin oder eines Bürgers ist.

Bei einer so deutlichen Nähe zum Nationalsozialismus haben andere Städte die Straße umbenannt. Auch Fachleute haben uns im Tornescher Fall zu diesem Schritt geraten.

CDU und FDP sehen sich nun offenbar einer völlig neuen „Tätererinnerungskultur“ verpflichtet. Wenn nun eine Stele (das Stelenfeld in Berlin ist übrigens ein Mahnmal für die ermordeten Juden in Europa) das Wirken des Täters (in völliger historischer Unvollkommenheit aufgrund bislang fehlender Dokumente) aufzeigen will, fragen wir uns nach dem Sinn eines Straßennamens als Ehrerbietung und nach der Berechtigung einen solchen zu behalten.

Der Name des Bürgermeisters von Helms wird weiter im Straßenregister stehen, er wird weiter unkommentiert auf Visitenkarten, in Adresslisten, auf Paketen stehen und Menschen werden mit dem Fahrrad oder Auto daran vorbei fahren und keine Tafel lesen.

Es gibt gute Gründe, warum wir die Opfer betrauern und uns dadurch der Geschichte erinnern. Und ein Straßenname hat weder den Sinn noch aus unserer Sicht das Zeug zu einem Mahnmal.

Die Debatte im Ausschuss hat gezeigt, dass es nicht nur Nuancen sind, die die Parteien im Geschichtsbild unterscheidet. Wir und auch die SPD haben für unseren Antrag einer Umbenennung gestimmt, weil wir einen offensichtlichen Unterstützer einer nationalsozialistischen Ideologie nicht im Straßenbild der Stadt Tornesch sehen wollen – nie wieder.

Zu jeder historischen Chronik gehört Herr von Helms dazu. Deshalb sind wir für Umbenennung und Aufklärung, der CDU und FDP reicht die Aufklärung.

Die Debatte wird weiter gehen. Sie sollte es auch nach dieser Entscheidung.

Autor:  Lars Janzen (Ratsmitglied und Mitlgied des Ausschusses JSSKB)

 

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